
Zu House ist es doch am schönsten
Nachdem wir unsere kleine Erinnerungsreise im gemütlichen Weira im Osten Thüringens begonnen haben (https://fettev.de/flucs), zieht es uns nun im zweiten Teil in die Großstadt, genauer gesagt in die schönste Landeshauptstadt Deutschlands – nach Erfurt.
Dort gab es seit den 90er Jahren einen Club für Fans elektronischer Klänge, der nicht nur wegen seiner Lage in der Mitte Thüringens zum Mittelpunkt eines unvergleichlichen Heimatgefühls wurde: das Joue Joue. Es war ein Club, an den man nach wilden Ausflügen zu Festivals oder anderen Clubs immer wieder gern zurückgekehrt ist. Ein Ort, der sich vor allem für die Feierleute in und um Erfurt wie das eigene Kinderzimmer anfühlte und wo man froh war, wenn man sich dort nach einer anstrengenden Woche endlich wieder austoben konnte.
Es war zu einer Heimat geworden und zu einer Wohlfühldecke, welche man sich einfach mal schnell und unkompliziert überstreifen konnte, um sich vorm Alltag zu verkriechen. Das Joue Joue war aber, auch rein musikalisch gesehen, ein Taktgeber und Vorbild für die Houseszene in Thüringen. Wenn man die damalige Thüringer Clubwelt mal als Rad betrachtet, war das Joue Joue die Nabe davon und das nicht nur, weil es im Zentrum unseres Bundeslandes lag.
Und wenn sonst nichts ging in Thüringen…das Joue Joue ging immer.
Erst Glitzer im Keller, dann Glamour im Park
Während die meisten das Joue Joue untrennbar mit dem Egapark in Erfurt in Verbindung bringen, existieren bei einigen dennoch verschwommene Erinnerungen an die ursprüngliche Location am Juri-Gagarin-Ring. Dort hatte es sich der Gründer Marcus Rudloff in einem Keller nicht gerade gemütlich gemacht und Anfang 1997 den ersten richtigen Houseclub in Erfurt eröffnet. Radikal rustikal war da noch das Motto und der Keller wirkte durch seine Käfige, die niedrige Decke und die dicken Betonpfeiler wie der verlängerte Arm eines Berliner Technobunkers, nur ohne die durchgängigen Stroboskopattacken.
Doch das Ambiente täuschte etwas. Harte Beats gab es zwar auch im alten Joue Joue, aber der Club etablierte sich in der Szene schon damals vorrangig durch seine Houseklänge. Daran war Marcus selbst nicht ganz unschuldig. Über den HipHop und den Street Funk der 70er kam er zur Housemusik und ließ diese Einflüsse auch gekonnt in seine Sets einfließen. Zudem sorgte er dafür, dass sich sein Club in einem tristen und grauen Erfurt der 90er, wo eine Bomberjacke noch als Statussymbol galt, nach dem queren Vorbild eines Studio 54 entwickeln konnte. Glitzer, Discokugeln und Dragqueens hielten Einzug in Erfurt, rückblickend eigentlich undenkbar für die damalige Zeit. Für diesen Mut gebührt ihm größter Dank und Respekt, denn das hätte auch ordentlich schief gehen können…ist es aber zum Glück nicht.
Ganz im Gegenteil: das Joue Joue nahm eine Vorreiterrolle in Sachen Toleranz ein und hatte damit das Nachtleben in Erfurt und Thüringen neu definiert. Seine Einflüsse sind bis heute in unserer Partylandschaft spürbar. DJ Mark J Klak und sein Joue Joue waren geboren und eine unvorstellbare Reise für Club und Marcus fand in einem Keller in der Erfurter Innenstadt ihren Anfang.
Leider existieren anscheinend kaum Fotos oder gar Videos aus der dieser Zeit. Mittlerweile existiert auch nicht mal mehr der Altbau mit dem Keller am Juri-Gargarin-Ring. Immerhin fanden wir aber ein verstaubtes Tape mit einem bisher unveröffentlichten Mitschnitt von Mark J Klak im alten Joue Joue, den wir gern mit euch via Link am Ende des Beitrags teilen.

Während aber die genaue Historie des ersten Joue Joue im Nebel der Erinnerungen verschwimmt – sorgte der Nachfolgeclub ab Herbst ’98 für unvergessliche Momente und ist bis heute ein wichtiger Teil unseres kollektiven Gedächtnisses. Am Ende einer unscheinbaren Zugangsstraße im Egapark gelegen, bettete er sich wie eine Festung der elektronischen Musik in die dekadente Parklandschaft ein. Er war auch wegen der Lage unterhalb eines Hangs eine Art Partyhöhle, in der die bunten Gäste jedes Wochenende im Takt einer gemeinsamen Euphorie pulsierten. Hier, wo endlich der gewünschte Discohouse-Charme durch die unzähligen Discokugeln und das aufwendige Dekor aufkam, konnte sich die wahre Magie des Joue Joue entfalten.


Legendäre DJs zwischen Dragqueens und Schranz
Eine funky Innendeko und die perfekte Lichtshow halfen dabei die Magie und das gewünschte Saturday Night Fever auf dem Floor anzuheizen. Die Plattenteller standen dabei etwas erhöht und waren somit eine Art Kanzel, von der aus lokale Helden und internationale Star-DJs wie Milk & Sugar, Westbam, Karotte, The Disco Boys, Jesse Saunders, André Galluzzi, Kevin Saunderson oder Tyree Cooper die gemeinsame Ekstase lenkten. Absolute Highlights waren zudem Auftritte von Der Dritte Raum, Northern Lite oder wenn Darryl Pandy über den Floor marschierte, um zusammen mit den Feiernden seine Hits zu schreien. Aber auch die vielen verschiedenen Residents um Mark J Klak wie zum Beispiel Black Sheep, Marko Bieling, Mirko Jacob, Boon, Stephano, und später auch DJ yO aus dem Flucs, machten ihren Job großartig und konnten ihre Bekanntheit durch das Joue Joue teils enorm steigern.
Die Residents spielten auch an Heiligabend eine wichtige Rolle wenn die alljährliche Classic Night anstand. Hier legten sie dann musikalisch Wert auf die wirklich emotionalen Klassiker der Housemucke und man hatte dadurch immer das Gefühl zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Die Classic Night war daher eine tolle Möglichkeit um die Festtage mit dem richtigen Groove einzuläuten und um Weihnachten so zu feiern wie es sich gehört…zusammen mit den Menschen, die sich wie Familie anfühlen und auch so verhalten.
Extrem groovy wurde es auch jedes Mal zur sogenannten „Musical House Show“, denn der Name war Programm. Wenn Marcus an solchen Abenden zum Saxophon griff und die Sängerin Malaika zu fluffigen Beats inklusive Bongos begleitete, fühlte man sich tatsächlich wie in einem New Yorker Club der 70er und wünschte sich zu seiner Schlaghose den passenden Afro herbei. Die zahlreichen Dragqueens rundeten das Studio 54 Gefühl dann noch zusätzlich ab. Und wem das doch alles zu viel wurde der konnte sich in den Keller der Partyhöhle begeben und fand dort sein Heil im exzellenten Schranzraum. Hier bekam man dann auch die volle Dröhnung Stroboskoplicht und den entsprechend harten Sound dazu. Das Joue Joue hatte zumindest hier sein Kellerflair aus dem alten Standort hinübergerettet und bot somit genügend elektronische Abwechslung, ohne dabei die eigentliche Hauptattraktion eine Etage höher zu stören.


Bei der Familie zu Gast
Aber egal ob Main- oder Kellerfloor, die Nächte waren dank der durchweg guten Lineups oft marathongleich, ein endloser Tanz, der nicht selten bis weit in den nächsten Tag hineinreichte: die letzte Platte lief erst gegen 8:30 Uhr. Marcus ließ es sich dabei oftmals nicht nehmen die letzte Runde persönlich zu drehen und überraschte dann gerne mal mit Platten, die man so nicht erwartet hatte. Ungewollt erzeugte er damit wieder ein familiäres Gefühl, da es dadurch ein untypisches, aber dennoch schönes Ende einer Party war, welches man so wohl nur in seinem eigenen Kinderzimmer veranstalten würde. Darum war es auch nicht verwunderlich, wenn manche Stammgäste dageblieben sind um im Anschluss beim Aufräumen des Kinderzimmers zu helfen. Familie eben.
Wer ins Joue Joue kam, war aber auch ohne Aufräumaktion Teil einer besonderen Familie. Die Leute waren eine lebendige Mischung aus jungen Menschen und jung gebliebenen Seelen, die sich durch ihre gemeinsame Leidenschaft für elektronische Musik definierten. Hier trafen sich Neugierige, die einfach mal die einzigartige Stimmung aufsaugen wollten, und Stammgäste, die den Club zu ihrem zweiten Zuhause gemacht hatten. Und oft wurden Neugierige auch sehr schnell zu Stammgästen. Es war eine offene und tolerante Gemeinschaft, in der soziale Grenzen verschwammen und nur der Beat zählte. Man tanzte zwar nebeneinander, aber doch miteinander. Man verlor sich in den Klängen und spürte eine tiefe Verbindung zur Musik und zu den tanzenden Partyleuten ringsum. Nebenbei knüpfte man Freundschaften, die oft über die rauchgeschwängerte bunte Tanzfläche hinaus Bestand hatten.
Das Ganze wurde getragen durch das typische 90er Jahre Gefühl einer familiären und unzerbrechlichen Gemeinschaft, die natürlich auch im Joue Joue gelebt und geliebt wurde. Das Joue Joue war ein Ort, an dem man sich verlieren und gleichzeitig finden konnte, man war hier einfach zu Hause.

Traumhafte Sommernächte
Eine spezielle Open Air Veranstaltung, bei der man nicht nur sich selbst sondern auch seine Freunde schnell mal verlieren konnte, war der „Sommernachtstraum“ auf der Wanderslebener Burg. Schuld daran war der krasse Aufstieg und das weitläufige Gelände inklusive Burgkellern. Wenn man einmal oben oder unten war, hatte man es sich ganz genau überlegt, ob man wieder hoch oder runter wollte. Schlussendlich hatte man es aber aufgegeben seine Freunde zu suchen, die vor einer Stunde nur mal kurz ans Auto wollten. Doch wer zu lange im Auto saß, verpasste eine der besten Veranstaltungen, die es jemals in Thüringen gab: Flair, Aussicht, Wetter, Musik und Leute passten so gut zusammen, dass man das Gefühl hatte etwas Einmaliges zu erleben, wovon man noch seinen Kindern erzählen würde. Vor allem wenn sie später mal fragen, was eigentlich ein Sommernachtstraum ist.
Es war einfach grandios zusammen mit tausenden anderen Feierwütigen die Burg zu stürmen um dort die gemeinsame Jugend um eine weitere unvergessliche Nacht zu bereichern. Was für das Flucs der Lovelee Day war, war für das Joue Joue der Sommernachtstraum und fortan sollte die Erfurter Region einmal pro Jahr ihre Träume ausleben dürfen, auch wenn die Location nach einigen Jahren zunächst an den Stotternheimer See wechseln musste.


Bandsalat, Blödsinn und Bratwürste
Schöne Anekdoten um den Club selbst gab es natürlich auch. So gab es um die Jahrtausendwende mal eine Zeit lang die Möglichkeit Tapes von Mitschnitten für 15 D-Mark zu kaufen. Die Mitschnitte der Headliner waren immer schnell ausverkauft, trotzdem fand man oftmals in der großen Box am Eingang seinen nächsten Schatz fürs Autoradio und war stolz wenn die Kumpels neidisch wurden. Für das Joue Joue war es eine zusätzliche Einnahmequelle, aber für die Clubgänger war es wie eine Reise zurück zum letzten Wochenende und den damit verbundenen Gefühlen. Außerdem war das Autoradio das damalige SoundCloud und es spielte eine große Rolle, dass man immer besonders gute Tapes an Bord hatte. Ein Tape von einer Party wo man selbst explodiert ist war dann natürlich etwas ganz Besonderes und wurde auch nur ungern verliehen um den gefürchteten Bandsalat nicht zu riskieren.
Abwechslung außerhalb des Autos und des Clubs gab es ebenfalls ausreichend. Wem es langweilig wurde, der fand aufgrund des speziellen Standortes genügend andere Alternativen, um überschüssige Energien abzubauen. Denn die Parkumgebung lud oftmals zu Blödsinn ein und so fand man sich auch schon mal morgens auf einem Spielplatz der Ega wieder, probierte die Spielgeräte aus oder badete in einem der Springbrunnen. Schabernack mit Pflanzen war allerdings tabu, da verstanden die Parkwächter der Ega dann doch keinen Spaß mehr und scheuchten die Partygänger wie kleine Täubchen wieder zurück auf den Parkplatz.
Der Parkplatz an sich war auch ziemlich einmalig, denn eigentlich bestand dieser nur aus der erwähnten Zugangsstraße. Wenn man nicht früh genug ankam, um einen der begehrten aber wenigen „richtigen“ Parkplätze zu erwischen, musste man am Straßenrand dieser recht schmalen aber langen Straße parken. Auf dem Weg zum Eingang durfte man somit eine Art Laufsteg genießen, auf dem es von links und rechts aus den Autofenstern qualmte und man ständig jemandem ausgiebig Hallo sagen musste. 200 Meter in zwei Stunden war dann das typische Durchschnittstempo.
Es gibt aber noch unzählige weitere Anekdoten wie zum Beispiel der Versuch seinen Gästen Bratwürste oder BBQ anzubieten. Aus irgendeinem Grund war aber kaum jemand hungrig und man stampfte den Versuch schnell wieder ein.

Ende einer prägenden Ära
Leider schlossen sich die Türen des Joue Joue nach einer fulminanten Closing Party am 31.01.2009. Doch für Marcus öffneten sich während all der Jahre nebenbei völlig neue Möglichkeiten: Er startete unter dem Synonym Boogie Pimps (gegründet 1999 zusammen mit Mirko Jacob) so richtig durch und landete mit „Somebody to love“ im Jahr 2003 sogar einen weltweiten Hit, der bis heute rauf und runter gespielt wird. Er war als Produzent aber auch in andere Projekte außerhalb des Joue Joue Universums involviert. Ein Beispiel ist seine Beteiligung als Komponist an dem Song „Wonder“ von Megan McCauley, der auf dem Soundtrack zum Film „Elektra“ (2005) erschien.
Das Joue Joue selbst eröffnete schon kurz nach der Schließung wieder unter dem Namen „Egabox“ und war noch bis 2014 fester Bestandteil der Thüringer Szene. Man konnte auch wieder viele Star DJs wie Jan Blomqvist oder George Morel nach Erfurt locken, doch die Stadt und die Partyszene hatten sich in der Zwischenzeit verändert und der Club konnte die Herzen der Partyleute nie mehr so erreichen wie zu seinen besten Zeiten.



Obwohl das Joue Joue heute nicht mehr existiert, lebt seine Erinnerung in den Gedanken und Herzen vieler Erfurter und Thüringer Clubgänger weiter. Denn es war weit mehr als nur ein Club; es war ein Refugium, ein Epizentrum der Housemusik und ein Sammelpunkt für eine Generation, die nach Freiheit, Gemeinschaft und dem Rausch des Beats suchte. Es bleibt vor allem aufgrund seiner Anfangsjahre ein leuchtendes Denkmal für eine Ära in Thüringen, in der elektronische Musik ihre ersten großen Schritte in die Öffentlichkeit machte und in der sie nicht nur gehört, sondern zutiefst gefühlt wurde.
Danke für eine unvergessliche Zeit!!

Wer jetzt Bock auf die gute alte Zeit bekommen hat, sollte am 16.8.25 unbedingt auf unser OFFSIDE FETTival in Kranichfeld kommen. Kein Geringerer als der ehemalige Joue Joue Resident Marko Bieling wird dort an unseren Emotionen schrauben und uns elektronisch in den nächsten Tag begleiten. Das wird garantiert FeTT!
Einen schönen Restsommer wünschen euch eure Freunde elektronischer Tanzmusik Thüringen (FeTT e.V.) !!

Links zum Joue Joue:
https://soundcloud.com/f-e-t-t-e-v/proudly-presented-by-fett-mark-j-klak-im-alten-jouejoue-1997
https://soundcloud.com/f-e-t-t-e-v/pokerflat-mark-j-klak-live-im-jouejoue-2000